Logistik, Light Industrial und Life Science prägen den europäischen Immobilienmarkt. Lagerhallen und moderne Fabrikgebäude werden plötzlich wieder stärker nachgefragt. Der Ökonom und Professor für Immobilienwirtschaft Michael Trübestein über die Ursachen und das Potenzial des «3L»-Trends.

Wir erleben derzeit eine Revolution auf dem europäischen Unternehmensimmobilienmarkt: Sogenannte 3L-Immobilien verdrängen zusehends die klassischen Büros. Was passiert da gerade?
«3L» umfasst die drei Bereiche Logistik-, Light-Industrial- und Life-Science-Immobilien. Der Logistikmarkt für die Lagerung, den Umschlag und den Transport von Waren ist dabei der traditionellste und mit Abstand grösste Bereich. Light Industrial – also multifunktionale Gewerbeimmobilien, die Produktion, Lagerung und Vertrieb unter einem Dach vereinen – hat enorm viel Potenzial. Und Life Science mit spezialisierten Gebäuden, die für Forschung, Entwicklung und Produktion in den Bereichen Biotechnologie, Pharma und Medizin ausgelegt sind, ist ein sehr interessanter, weil lukrativer Nischenmarkt. Für alle drei gilt: Sie decken zentrale Bedürfnisse ab, die durch gesellschaftliche und wirtschaftliche Megatrends entstehen.

An welche Megatrends denken Sie besonders?
In erster Linie an die Globalisierung und die Digitalisierung. Die zunehmende Globalisierung befeuert die Nachfrage nach Immobilien für logistische Zwecke – das gilt sowohl für riesige Logistikzentren auf der grünen Wiese als auch für stadtnahe «Last-Mile-Lagerhallen», die sich nahe am Endkunden befinden und vor allem den letzten Abschnitt der Lieferkette, die sogenannte letzte Meile, effizient abwickeln. Die Digitalisierung und der Online-Handel sind seit der Corona-Pandemie förmlich explodiert. Beim Online-Handel gilt: Pro 1 Milliarde Franken Umsatz werden zusätzlich 80 000 bis 100 000 Quadratmeter Lagerfläche benötigt.

02_Truebestein_Portrait
Pro 1 Milliarde Franken Umsatz im Onlinehandel werden zusätzlich 80 000 bis 100 000 Quadratmeter Lagerfläche benötigt.

Haben die Lieferengpässe infolge der Pandemie und der internationalen Konflikte nicht eher zu einer Deglobalisierung geführt?
Das sehe ich sehr differenziert. Das sogenannte Reshoring, also die Rückverlagerung der Fertigung nach Europa, ist für die meisten Industrien aus ökonomischen Gründen eine Illusion. Ich gehe vielmehr davon aus, dass der Welthandel künftig noch intensiver wird. Ich denke da zum Beispiel an die Neue Seidenstrasse, die ganz neue Distributionswege nach Asien eröffnet. Realistischer als ein Reshoring scheint mir eine Zunahme des Nearshorings, also die Verlagerung ausgewählter betrieblicher Aktivitäten nach Europa. Das steigert die Nachfrage nach Logistikimmobilien in Europa weiter.

Sind diese Entwicklungen auch für «Light-Industrial-Immobilien» relevant?
Light-Industrial-Immobilien zeichnen sich durch eine flexible, emissionsarme Nutzung aus und sind häufig durch Zentrumsnähe geprägt. Hier kommen zusätzlich die Trends zur Automatisierung und Individualisierung ins Spiel und damit die erhöhte Nachfrage nach massgeschneiderten Produkten und Dienstleistungen. Neben Lagerhallen für die städtische Versorgung bietet Light Industrial auch Raum für die urbane Produktion, etwa für Lebensmittelhersteller. Besonders geeignet sind dafür alte Industrieareale, die zur Zeit der Industrialisierung noch am Stadtrand lagen, aber inzwischen durch das Wachstum der Städte in Zentrumsnähe gerückt sind.

Wäre es angesichts der wachsenden Wohnungsnot nicht sinnvoller, diese Areale in Wohngebiete umzuwandeln und die Light-Industrial-Gebäude in der Agglomeration anzusiedeln?
Nein, denn die Städte profitieren von dem Mix. Flächen für kleine und mittlere Unternehmen sowie Startups fördern die wirtschaftliche Entwicklung und die ökonomische Resilienz. Eine Stadt, in der auch gearbeitet und produziert wird, ist viel lebendiger und attraktiver als eine reine Schlafstadt. Verschiedene Gebäudenutzungen lassen sich gut in gemischte Nutzungsgebiete integrieren, die Wohnen, Arbeiten und Freizeitaktivitäten kombinieren, was diese Quartiere enorm aufwertet. Das ist auch umweltfreundlicher und entspricht der gelebten Urbanität.

03_Truebestein_Portrait
Immer mehr Städte wollen autofreie Zonen, wodurch die Nachfrage nach Last-Mile-Distributionszentren in oder nahe der Stadt weiter steigen wird.

Was ist daran umweltfreundlich?
Eine effiziente Last-Mile-Logistik und flexible Produktionsstätten in der Innenstadt verringern den Verkehr, weil Warenströme besser organisiert werden können. Durch die Anbindung an den öffentlichen Verkehr sowie die Nähe zum Wohnort der Beschäftigten wird die Vision einer 15-Minuten-Stadt zur Realität – eine Stadt, in der alle wichtigen Ziele des Alltags in 15 Minuten zu Fuss erreichbar sind. Das verringert die Luftverschmutzung und die Lärmbelastung.

Aktuell ist bei Life-Science-Immobilien ein regelrechter Boom zu beobachten – weshalb?
Dieser Boom wird vom demografischen Wandel getrieben: Der Anteil der über 65-Jährigen in Europa wird von derzeit 19 Prozent auf rund 28 Prozent im Jahr 2050 steigen, während sich der Anteil der über 80-Jährigen sogar verdreifachen wird. Für die Life-Science-Branche eröffnen sich dadurch neue Wachstumschancen durch Innovation in Bereichen wie der Molekulardiagnostik und Digital Health. Dafür werden spezielle Gebäude benötigt, die eine Mischung aus Büro-, Labor- und Produktionsräumen bieten. Diese sollten idealerweise in Metropolen oder Universitätsstädten angesiedelt sein, da Forschung und Entwicklung hochqualifizierte Spezialisten erfordern.

Lässt sich die «3L»-Revolution in ganz Europa beobachten?
Grundsätzlich schon, wobei dies besonders für die Region der sogenannten blauen Banane gilt. Also für die europäische Industrie- und Dienstleistungszone, die sich vom nördlichen England entlang des Rheins bis nach Oberitalien erstreckt. Für die riesigen Big-Box-Logistiklager eignet sich Deutschland dank der Lage im Herzen Europas und der guten Anbindung an Autobahn, Zug, Schiff und Flugzeug besonders gut. Als Topregionen für Life-Science-Immobilien haben sich die traditionellen Pharma-Standorte in Grossbritannien, den Beneluxstaaten und in den deutschsprachigen Ländern bewährt. Gelungene Light-Industrial-Arealentwicklungen finden sich in allen Grossstädten von Berlin über Paris bis Zürich.

Lagerhallen und Produktionsstätten in der Innenstadt verringern den Verkehr und tragen zur Vision einer 15-Minuten-Stadt bei.

Was zeichnet den Schweizer Markt besonders aus?
Die Schweiz ist aus Immobilienperspektive nach wie vor eine «Insel der Glückseligen». Die Zuwanderung ist hoch, die Zinsen sinken schon wieder und das Wirtschaftswachstum hält an. Von den «3L»-Immobilien stehen in der Schweiz Life Science und Light Industrial sowie die Last-Mile-Logistik im Fokus. Für Mega-Logistikzentren hingegen ist der Platz zu knapp und der Landpreis zu hoch.

Wie lautet Ihre längerfristige Prognose für Logistikimmobilien?
Die erwähnten Megatrends – die Globalisierung und die Digitalisierung – werden sich fortsetzen und der Bereich Logistik wird auch künftig stark wachsen, insbesondere aufgrund des Themas Nachhaltigkeit. Immer mehr Städte wollen autofreie Zonen, wodurch die Nachfrage nach Last-Mile-Distributionszentren in oder nahe der Stadt weiter steigen wird.

Und wie steht es um die Nachhaltigkeit der Logistikimmobilien selbst?
Wie für die gesamte Branche gilt auch hier: Die Berücksichtigung von ESG-Faktoren ist nicht mehr wegzudenken. Gerade bei grossen Logistikzentren bieten sich grossflächige Nachhaltigkeitsmassnahmen an. Ein Beispiel dafür ist der hochmoderne Logistikneubau von Swiss Life in der Region Zwickau im deutschen Bundesland Sachsen. Das 22 500 Quadratmeter grosse Gebäude verfügt über eine Photovoltaikanlage auf dem Dach und eine Fassadenbegrünung. Hinzu kommen moderne Wärmepumpen und Pufferspeicher, die für eine Unabhängigkeit von fossilen Brennstoffen sorgen.

Lead image: Geplanter Gewerbepark «Berlin Decks» von Beos/Swiss Life

02_Truebestein_Portrait

Michael Trübestein

Michael Trübestein ist Professor für Immobilienwirtschaft an der Hochschule Luzern und Leiter des Forschungsprojekts «Logistik und Light Industrial». Er ist Autor diverser Veröffentlichungen zu nationalen und internationalen Immobilienthemen und Mitherausgeber des eben erschienen Buchs «Logistics Real Estate. The Emergence of a new Asset Class.» (Springer Gabler Verlag), das in Zusammenarbeit mit Swiss Life Asset Managers entstanden ist.

04_Truebestein_Buchcover
04_Truebestein_Buchcover

Das könnte Sie auch interessieren

Wissen

Vittorio Magnago Lampugnani: «Verdichten, um die Stadt besser zu machen»

Mehr lesen

Quiz

Immobilien-Quiz: So wohnt die Welt

Mehr lesen

Wissen

Wie lange lebt ein Haus?

Mehr lesen